42. Sokratisches Treffen

Termin:
Freitag, 27.4.2018 – Sonntag, 29.4.2018
Thema:
Reformation und Gegenreformation, Aufklärung und Gegenaufklärung

Bisweilen hat man den Eindruck, dass der öffentliche Diskurs unserer Tage von diffuser Furcht vor Unbekanntem und daher von eher irrationalen Impulsen geleitet wird. Mahnende Stimmen wie die des Sokrates zu einem von Vernunft geleiteten und praktischen Handeln und Rückbesinnung darauf, wie sokratisches Denken für eine Zeitepoche prägend sein konnten und zum Signum eines als sokratisch bezeichneten Jahrhunderts werden konnte, wie dies im 18. Jh. der Fall war, sind deshalb besonders wichtig. In dieser Zeit wurden nicht nur „Sokratische Freundschaften“ gepflegt, „Sokratische Gespräche“ geführt oder stilisierten sich Autoren wie Rousseau zu einem kynisch gefärbten Sokrates, sondern Sokrates wurde auch von Vertretern einer religiös gefärbten Gegenaufklärung wie Hamann in Anspruch genommen, der in den Sokratischen Denkwürdigkeiten das sokratische Nichtwissen als Bekenntnis zu einer religiösen Form des Glaubens umdeutete. Sokrates also als Aufklärer und Gegenaufklärer: Diese Paradoxie hat uns angeregt, Diskussionen fortzusetzen, welche die Sokratische Gesellschaft anlässlich eines Treffens vor nunmehr 20 Jahren bereits einmal geführt und in einem von Herbert Kessler herausgegebenen Sammelband veröffentlicht hat (Das Lächeln des Sokrates. Sokrates-Studien IV. Die Graue Edition. Servicecenter-Fachverlage, Kusterdingen 1999). Diesmal freilich sollte der Fokus auf den Sokrates zugeschriebenen lebenspraktischen Ansichten liegen, die während der Aufklärung im 18. Jh. gepriesen worden sind. Dabei wurden Aspekte der Philologie, der Philosophie, aber auch das Theater der Aufklärung in den Blick genommen.

Programm


Freitag, den 27. April 2018

ab 20:00 Uhr
Christian Reiss und Studierende der Universität Würzburg:

Symposium mit Sokrates – Weinprobe mit Winzer und Rahmeninszenierung

Das berühmte Symposium Platons einmal in fast originaler Umgebung mit Wein und Gesang zu erleben und anregenden Gesprächen über Eros zu lauschen, kamen Alt und Jung, Sokratiker und Studierende in der Residenz zusammen und genossen in lauschiger Atmosphäre eine sehr gelungene Inszenierung.



Samstag, den 28. April 2018

9.30 Uhr
Eröffnung: Prof. Dr. Michael Erler

10.00 - 11.00
Dr. Tobias Dänzer, Würzburg:

Angelo Poliziano (1454-1494): Der Philologe als Aufklärer

Der Florentiner Humanist Angelo Poliziano zählt zu den bedeutendsten Gelehrten der italienischen Renaissance: Er gehörte zum innersten Zirkel des Medicifürsten Lorenzo il Magnifico, der ihn im Alter von 26 Jahren auf den Lehrstuhl für Rhetorik und Poetik der Florentiner Universität berief. Als Dichter, Philologe und streitbarer Redner entfaltete Poliziano ein immenses Wirken, das das geistige Antlitz des Humanismus wesentlich prägte. Nicht zuletzt beeinflusste er mit seinem Werk die Kunst der Renaissance, indem er als Berater Botticellis und Michelangelos fungierte. In der Vorrede zu seiner Übersetzung des platonischen Charmides ins Lateinische attackierte Poliziano anerkannte Platonspezialisten seiner Zeit, darunter Marsilio Ficino, denen er vorwarf, ihren Platon nicht hinreichend zu verstehen. Poliziano weitete die Fehde über den Platontext zu einem generellen Disput über die richtige Interpretationsweise antiker Texte aus. Dabei wies er scholastische und frühhumanistische Deutungsansätze zurück und forderte ein gestuftes Textlesemodell, das die textkritische Aufbereitung zur Grundlage einer interdisziplinären, noch die geringste Wissenschaft einschließenden Interpretation macht. Als Philologe stritt er für die Anerkennung der antiken Texte, auch solcher scheinbar unbedeutender Autoren, als Autoritäten, die gleichberechtigt neben christlicher Literatur und selbst der Bibel stehen konnten, wodurch er den theologischen Wahrheitsanspruch durch vielfältige Wahrheiten, opiniones, ersetzte. Der Vortrag hat aufgezeigt, wie die philologische Disziplin, wenn der Text als Autorität und der Mensch als Schöpfer des Textes in den Mittelpunkt rücken, zum angemessenen Ausdruck des renaissancezeitlichen Menschenbildes und der Philologe zum Aufklärer wird.

11.30 - 12.30
Dr. Katrin Dennerlein, Würzburg:

Philosophenlustspiele über Diogenes und Sokrates in Wien und Hamburg. Beispiele für aufklärerische Dramatik?

Zwischen 1670 und 1725 wurden an der Wiener Hofoper und an der Hamburger Gänsemarktoper erfolgreiche musiktheatrale Philosophenlustspiele gegeben, die aufklärerische Tendenzen vorwegzunehmen scheinen. Im Zentrum des Vortrages standen die Wiener Oper La lanterna di Diogenes (1674, Hamburger Version 1691) sowie Draghis Oper La patienza di Socrate con due mogli (1680), die Georg Philipp Telemann für das Hamburger Gänsemarkttheater bearbeitete (Der geduldige Sokrates, 1721). Während die für eine einmalige Aufführung für das Hofpublikum produzierten Wiener Opern Schlüsselopern mit durchsichtigem Bezug auf die Zustände am Wiener Hof sind, scheinen die Hamburger Bearbeitungen für ein bürgerliches Publikum gesellschaftliche Missstände anzuprangern und in den moralischen Diskurs der Zeit einzugreifen. Insofern kann bei ihnen von aufklärerischen Tendenzen sprechen.

14.30 - 15.30
Prof. Dr. Dominik Burkard, Würzburg

Ein zweiter „Fragmentenstreit“? Die historisch-kritische Methodik in der katholischen Exegese der Aufklärungszeit

Der bekannte, von Gotthold Ephraim Lessing provozierte Streit um die nachgelassenen bibelkritischen Fragmente des Hamburger Rektors Hermann Samuel Reimarus (1694-1758; „Fragmentenstreit“) zählt zu den zentralen theologischen Auseinandersetzungen zwischen Aufklärung und lutherischer Orthodoxie des 18. Jahrhunderts. Ihm wird eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der historisch-kritischen Exegese zugeschrieben. Wenig bekannt ist hingegen, dass zeitgleich auch innerhalb der katholischen Theologie ein erbitterter Kampf um die richtige Methode exegetischer Forschung tobte, der sich an einer Schrift des Mainzer Theologieprofessors Johannes Lorenz Isenbiehl (1744-1818) zu Jes. 7,14 entzündete (Neuer Versuch über die Weissagung von Emmanuel, 1778) und mit Hilfe von Zensur und Inquisition niedergeschlagen wurde. Ein „zweiter Fragmentenstreit“?

16.00 - 17.00
Dr. Björn Freter, Berlin

Lessings praktische Philosophie Tätige Aufklärung im bürgerlichen Trauerspiel »Emilia Galotti«

Emilia Galotti lebt in einer merkwürdig verarmten Welt. Es ist vor allem ihre Mutter, die mit großer Härte bestimmt, was in die Wirklichkeitswahrnehmung ihrer Emilia vordringen darf und was nicht. Das zensierte Wirklichkeitsverstehen der Emilia beginnt genau in dem Moment zu zerbrechen, als sie sich selbst als verführbar entdeckt. Das oktroyierte Wirklichkeitsverständnis kann die eigene Verführbarkeit nicht begreifen. Emilia wird sich, so sehr sie die Verführbarkeit auch als ihre höchst eigene begreift, selber fremd: Diese brutale Unmittelbarkeit der eigenen Verführbarkeit darf es nicht geben. Emilia wird diesen Kampf gegen die eigene Verführbarkeit bekanntlich mit Ihrem Leben bezahlen müssen. Sie kann nur sie selbst bleiben, wenn die Möglichkeit der Verführung nicht mehr Wirklichkeit werden kann: Sie muss sterben. Diese unerhörte Katastrophe ist unmittelbare Konsequenz der Anstrengungen Emilias Wirklichkeitshermeneutik zu beschneiden. Sie wird durch ihre Verführbarkeit mit brutaler Plötzlichkeit einer Wirklichkeit gewahr, die sie nicht zu verstehen vermag. Von Verführbarkeit hat sie nie gehört, von ihr ergriffen zu werden, hat sie nie erwartet. Sie ist gleichsam ein erstarrter Mensch, auf Vielfalt, das Neue, das Unerwartete gar nicht eingerichtet. Lessings Trauerspiel ist, so der Tenor des Vortrags, eine bittere, dennoch vorsichtig hoffnungsvolle Polemik gegen diese Brutalismen der Verunselbständigung des nächsten Menschen. Und darin liegt ein Kernelement von Lessings praktischer Philosophie, die den Menschen fordert und fördern will, der seiner selbst ermächtigt das tun kann, was ihm als das erscheint, was zu tun ist!

16.00 - 17.00
Wolfgang Kessler, Chefredakteur der Zeitschrift Publik-Forum

Gefährlicher Reichtum Warum wir in Deutschland eine gerechtere Verteilung brauchen

In seinem engagierten Vortrag beschrieb der Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Kessler, Chefredakteur der christlichen Zeitschrift Publik-Forum, wie unsere Gesellschaft gerechter gestaltet werden kann. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Die Reichen werden reicher, doch in Kindergärten, Schulen, Universitäten, Pflegeheimen, Jugendhäusern oder für Maßnahmen gegen Armut fehlt es an Geld. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich ist ungerecht. Sie ist aber auch gefährlich, denn der Reichtum wird kaum mehr investiert, sondern fließt auf die Finanzmärkte und kann den nächsten Crash befördern. Die wachsende Schere zwischen Reich und Arm ist jedoch kein Naturereignis, sondern die Folge einer bestimmten Politik. Doch Politik – so Kessler – kann sich ändern. Im Anschluss an den Vortrag entspann sich eine lebhafte Diskussion über das Problem der Marktgläubigkeit, die Erfolgsaussichten zivilgesellschaftlichen Engagements, die Integration von Flüchtlingen und weitere im Vortrag berührte Themen.

Dieser Vortrag wurde durch die freundliche Unterstützung der Leserinitiative des Publik Forum ermöglicht.


Sonntag, den 29. April 2018

10.00 - 11.00
Marion Schneider, Würzburg

Sokrates Eulenspiegel – Vom weisen Narren zum modernen Kabarett

Bericht aus dem Workshop für Studierende, in dem wir einmal die komische Seite der Philosophie und der Figur des Sokrates genauer unter die Lupe genommen, Gemeinsamkeiten zu anderen Schelmenfiguren und „weisen Narren“ in der christlich-jüdischen, muslimischen und buddhistischen Tradition gesucht und uns schließlich über die Idee eines „sokratischen Kabaretts“ Gedanken gemacht haben.

11.30 - 12.30

Monica und Cara Gutman

Erwin Schulhoff (1894-1942): Ironien, Op. 34

Antonín Leopold Dvořák (1841-1904): Aus den slawischen Tänzen

Franz Schubert (1797-1828): Fantasie f-moll Op. 103, D 940

für Klavier (vierhändig)

Werkeinführung und Aufführung