
kommende Tagung
46. Sokratisches Treffen
Termin:
Thema:
Die Reaktionen auf die Person und das Wirken des Sokrates bewegten sich schon unter den Zeitgenossen zwischen den Polen Faszination und Ablehnung: Während (oder weil) sich die vornehme männliche Jugend Athens um Sokrates scharte, um nach seinem Vorbild zu philosophieren, repräsentierte er für Teile des athenischen Establishments alles, was mit der demokratischen Tradition der Polis unverträglich schien – mit der bekannten Folge seiner Verurteilung durch das athenische Volksgericht. Beide Pole lassen sich dann in Antike und Moderne weiterverfolgen. Die Faszination mit Sokrates findet ihren Niederschlag etwa bei Platon und der von ihm ausgehenden philosophischen Tradition – aber schon bei den Zeitgenossen Platons und gelegentlich in seinen eigenen Dialogen fehlen die Gegenstimmen nicht, und auch in der Folgezeit tritt uns Sokrates bisweilen als nicht-ideale Verkörperung überhöhter und notwendig scheiternder Ansprüche des menschlichen Denkens entgegen. Diesen kontroversen Umgang mit der Sokratesgestalt von der Antike bis in die Gegenwart versucht die Tagung in schlaglichtartiger Weise zu erhellen.
Programm
Freitag, den 28. April 2023
15.00-17.00
Veronika Müller (Pegnitz)/Marion Schneider (Nürnberg)
Workshop für LehrerInnen und StudentInnen
„Leave your comment here!“ – Interaktiv Texte und Bilder lesen ... wie in der Antike
In der Antike las man Texte selten allein und selten leise, selten unkommentiert und selten unwidersprochen. In verschiedenen Schulen diente die gemeinsame Lektüre von Texten als Ausgangspunkt und Diskussionsgrundlage für eine lebendige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Autor und seiner Meinung, mitunter fast so als wäre dieser in der Diskussion gegenwärtig. Von Platon über Cicero und Plutarch bis hin zu Augustinus und Philostrat finden sich unterhaltsame Beispiele und sogar Anleitungen zu dieser streitbaren Art von Lektüre oder Bildbetrachtung. Im Workshop lernen wir solche Beispiele kennen, wenden die antiken Methoden auf moderne Texte und Bilder an und finden heraus, welche davon sich noch heute gewinnbringend im Sprach-, Religions- oder Ethikunterricht oder im ganz persönlichen Umgang mit Medien anwenden lassen.
Anmeldung bis zum 24.04.2023 per Email an Marion.Schneider@uni-wuerzburg.de
18.00-20.00
Ein widersprüchlicher Philosoph. Sokrates als Modell in der Spätantike
In der griechischen Rhetorik, Literatur und Philosophie der Spätantike ist Sokrates in seinem Auftreten als Philosoph sehr präsent. Christliche wie nicht-christliche Autoren nehmen immer wieder Bezug auf ihn. Meist geht es ihnen nicht um eine bloße Beschreibung von Sokrates’ Philosophie und Wirken im klassischen Athen, sondern sie bewerten seine Lebensführung und sein Philosophieren, und zwar positiv wie negativ. Ein charakteristischer Zug dieser Rezeption der Sokratesgestalt ist, dass die spätantiken Autoren häufig den athenischen Philosophen als Vorbild für ihre eigene Auffassung von Philosophie und ihre eigene Tätigkeit reklamieren. Das Bild des Sokrates, das sich dabei abzeichnet, ist keineswegs eindeutig. Sokrates wird für stark divergierende Konzeptionen von Philosophie in Anspruch genommen. An seiner Gestalt werden zentrale gesellschaftliche Fragen verhandelt, etwa die Rolle der Philosophie in der Öffentlichkeit, die richtige Lebensführung und die richtige Erziehung. Exemplarisch soll die kontroverse Berufung auf Sokrates an Kaiser Julian und dem Philosophen Themistios beleuchtet werden.
(Ort: Toscanasaal der Würzburger Residenz, Residenzplatz 2, Tor A, 97070 Würzburg, 2. Stock)
Samstag, den 29. April 2023
9.30
10.00-11.00
Vorbild oder Gegenbild? Sokrates in Ciceros Religionsphilosophie
Im Proömium seines religionsphilosophischen Hauptwerks „De natura deorum“ stilisiert sich Cicero in epistemologischer Hinsicht selbstbewusst als Nachfolger des Sokrates. Doch inwieweit setzt Cicero dieses Programm angesichts einer Vielzahl von biographischen, soziokulturellen und philosophischen Unterschieden zwischen ihm und Sokrates im Verlauf des Dialogs tatsächlich um? Durch eine Analyse von Ciceros skeptischem Ansatz, seiner politischen Zielsetzung und der von ihm geprägten Dialogform sollen die Art und der Grad seiner „imitatio Socratis“ aufgezeigt werden. Der Vortrag möchte damit nicht nur die spannungsvolle Aufnahme sokratischer Denkfiguren in das Werk des römischen Denkers beleuchten, sondern vor allem in deren dialogischer Transformation Ciceros literarische wie philosophische Eigenleistung herausarbeiten. Gerade in seiner Abgrenzung zu Sokrates erscheint Cicero dabei als wirklich sokratischer Philosoph.
Pause
11.30-12.30
Den Phaidon lesen und sterben? - Der Tod des Sokrates als Beispiel und Parodie eines guten Todes in Antike und Neuzeit
Ein Epigramm des Kallimachos fasst gegensätzliche Rezeptionshaltungen zum Tod des Sokrates humoristisch zusammen: Die Lektüre von Platons Phaidon habe Kleombrotos von Ambrakia zum Selbstmord veranlasst, weil er ihm die Angst vor dem Tod genommen habe. Auf der einen Seite steht hier die Nachahmung des vorbildlichen Sterbens des Sokrates, das tatsächlich von historischen Persönlichkeiten wie Phokion, den beiden Catos oder Seneca bis hin zu Mitgliedern der sog. Hemlock Society am Ende ihres Lebens als Anleitung zu einem guten Tod gelesen wurde. Auf der anderen Seite steht die Karikatur dieses furchtlosen Sterbens, welches als unrealistisches Ideal entlarvt wird, das im schlimmsten Falle überhaupt erst zum Suizid verleitet. Hand in Hand gehen beide Haltungen in antiken und modernen Darstellungen bei Plutarch, Woody Allen oder Steve Martin. Hier misslingt die Nachahmung des sokratischen „Drehbuchs“ so vehement und schmerzhaft, dass sich Zweifel hinsichtlich der Realität von Sokrates’ Sterben in der klassischen Darstellung förmlich aufzwingen.
Mittagspause
14.30-15.30
Vermittler oder Vorbild? Die Rolle des Philosophen bei Christian Wolff
Zwar kommt dem deutschen Frühaufklärer Christian Wolff (1679-1754) zufolge dem Philosophen auch die zentrale Rolle des Lehrers zu. Dennoch entwirft Wolff insofern ein Gegenbild zu Sokrates, als der Philosoph aufgrund seiner Autorität in Bezug auf das praktisch relevante, moralische Wissen keine gesellschaftliche Außenseiterposition einnehmen sollte. Bemerkenswerterweise ist bei Wolff bereits ein Bewusstsein für strukturelle Ungleichheit in Bezug auf die Verteilung von ökonomischen Ressourcen und Zugang zur Bildung vorhanden: So ist es letztlich Aufgabe des Philosophen, denjenigen Personen, die unter dieser strukturellen Ungleichheit leiden, in Form anschaulicher Beispiele Handlungsmuster als Orientierungshilfe zur Verfügung zu stellen und ihnen so trotz allem die Möglichkeit zur moralischen Entwicklung zu bieten. Vor diesem Hintergrund soll das frühaufklärerische Bild des Philosophen im Vergleich zu dem sokratischen Bild des Philosophen vorgestellt und diskutiert werden.
Pause
16.00-17.00
18.00-20.00
Festvortrag:
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Erler, Würzburg
Amousos Sokrates. Ein negatives Sokrates-Bild als Vorbild bei Platon?
Platons Sokrates-Figur gilt als exemplum eines philosophischen Lebens, das Nachahmung verdient. Als Grund gilt Sokrates’ Partnern die Übereinstimmung seines Redens und Handelns. Sokrates selbst sieht in Widersprüchen zwischen Argumentation und Verhalten einer Person das Merkmal eines un-philosophischen Menschen (amousos). Da verwundert es, dass sich Sokrates selbst in den Dialogen bisweilen wie ein solcher „a-mousos“ zu verhalten scheint. Der Vortrag will zeigen, dass Platon derartige vermeintliche Widersprüche der Sokrates-Figur als hermeneutische Hinweise auf philosophische Grundprobleme – wie z.B. die Frage nach der Existenz fester Normen oder Ideen in den frühen Dialogen – konstruiert hat. Um dies zu erkennen, musss der Interpret beide Aspekte der Dialoge, die performative und die argumentative Dialogebene, im Blick behalten und vergleichen. Der Vortrag will zeigen, dass und wie dies mit Gewinn geschieht.
(Ort: Toscanasaal der Würzburger Residenz, Residenzplatz 2, Tor A, 97070 Würzburg, 2. Stock)
Die Tagung findet, soweit nicht anders angegeben, in der Bibliothek des Instituts für Klassische Philologie statt (Residenzplatz 2, Tor A, 97070 Würzburg, 3. Stock).
Wichtiger Hinweis: Der Aufzug im Südflügel der Residenz wird derzeit ausgetauscht. Es ist derzeit nicht abzusehen, wann die Arbeiten abgeschlossen sein werden (Stand: 10.3.2023). Der Zugang zu den Tagungsräumen ist also eventuell nicht barrierefrei.
Veranstalter: Sokratische Gesellschaft in Verbindung mit der Universität Würzburg (Institut für Klassische Philologie)
Kontakt:
Prof. Dr. Christian Tornau (christian.tornau@uni-wuerzburg.de)
Marion Schneider (marion.schneider@uni-wuerzburg.de)
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Institut für Klassische Philologie
Straße: Residenzplatz 2
PLZ/Ort: D 97070 Würzburg
Tel.: 0931/3188419