43. Sokratisches Treffen

Termin:
Freitag, 3.5.2019 – Sonntag, 5.5.2019
Thema:
Wissenschaft und Gesellschaft

Wissenschaft bewegt sich stets in einem Spannungsfeld zwischen dem Ideal der voraussetzungslosen Suche nach der Wahrheit und den Erwartungen und Ansprüchen der Gesellschaft, deren Teil sie ist und von der sie getragen und nicht zuletzt auch finanziert wird. Die antike Philosophenanekdote fängt dieses Spannungsverhältnis ein, wenn sie Thales von Milet – den ersten uns namentlich fassbaren griechischen Philosophen – einerseits beim Beobachten der Sterne in eine Grube fallen und sich den Spott einer thrakischen Magd zuziehen lässt (Platon, Theaitetos 174a-b), andererseits aber zur Überraschung seiner vermeintlich praxisorientierten Kritiker aus seinen astronomischen Kenntnissen einen beträchtlichen ökonomischen Gewinn ziehen lässt (Aristoteles, Politik 1,11). Zugleich adressieren diese Anekdoten das kritische Potential von Wissenschaft, das eben aus ihrer Abstandnahme gegenüber dem gesellschaftlich ‚Normalen‘ erwächst. Damit stellen sich Fragen folgender Art: Mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen kann und soll Wissenschaft gesellschaftlich wirken? Wie behält sie soziale Bodenhaftung, ohne ihre kritische Distanz aufzugeben? Wie sollte umgekehrt eine sich als aufgeklärt verstehende Gesellschaft mit ihrer Wissenschaft umgehen? Welche Rolle spielen Institutionen wie Schule und Universität? Und nicht zuletzt: Welcher Begriff von Wissenschaft sollte derlei Überlegungen zugrunde gelegt werden? Wie stets setzte sich die Tagung das Ziel, die Aktualität solcher Fragen ebenso wie ihre historische Tiefendimension ins Auge zu fassen.

Programm


Freitag, den 3. Mai 2019

ab 18:00 Uhr
Studierende der Universität Würzburg
Dr. med. Sokrates – Philosophie gegen Kopfschmerzen

Inszenierung mit Texten von Platon, Aristophanes und aus dem Corpus Hippocraticum und mit Musik von Vincenzo Damiani, unter Leitung von Marion Schneider



Samstag, den 4. Mai 2019

9.30 Uhr
Eröffnung: Prof. Dr. Christian Tornau

10.00 - 11.00
Dr. Ulrich Kühn, Berlin:

Wilhelm von Humboldt als wissenschaftspolitischer Sokrates

Die Imperative gesellschaftlicher Nützlichkeit und berufspraktischer Relevanz hatten schon in der Bildungspolitik um 1800 einen hohen Stellenwert. Die französische Universität stand unter Napoleon I. im Begriff, sich vollständig von dem theologischen Bezugsrahmen des Mittelalters zu lösen, um ohne mitgeschleppten metaphysischen Ballast die für das künftige Gedeihen des Staates nötigen technischen und gesellschaftlichen Ingenieure heranzubilden. In Deutschland entstand eine Diskussion, inwieweit man diesem Vorbild folgen solle, an der sich neben anderen auch Fichte, Schleiermacher und Hegel beteiligten. Während seiner kurzen Zeit als preußischer Kultusminister legte Wilhelm von Humboldt im Juli 1809 eine Denkschrift vor, die einen grundsätzlich anderen Weg einschlug. Ihr Motto lautete: „Der Hauptgesichtspunkt bleibt die Wissenschaft.“ Die an der Universität angesiedelten Wissenschaften sollten weder dem Staat noch einer anderen Größe dienen, sondern zunächst sich selbst. Dann, so Humboldts Überzeugung, würden sie auch alle anderen Ansprüche, die man an sie richtete, aufs Beste zufriedenstellen.

Diese dialektische Figur verlangte den Bildungspolitikern einiges ab. Lässt man die universitäre Wissenschaft ihren inneren Weg gehen, bedeutet das eben, dass alle Studenten zu Wissenschaftlern ausgebildet werden. Aber wieso sollte man irgendjemanden zu einem Wissenschaftler ausbilden, wenn er nicht zu den wenigen gehörte, die Wissenschaftler werden wollten? Hier berührt sich Humboldts Konzept mit der Philosophie des Sokrates, der es seine grundlegende Inspiration verdankt. Sokrates hat jedem Athener und jedem durchreisenden Fremden seine Fragen gestellt. Wissenschaft war ihm offenbar ein Anliegen, das alle Menschen betrifft. Der Vortrag stellte Humboldts Denkschrift vor und erörterte Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur sokratischen Gesprächsführung.

11.30 - 12.30
Prof. Dr. Christine Abbt, Luzern:

Denis Diderots Höhlengleichnis

Bei Platon gelingt es manchen Personen, aus der Höhle zu steigen und Licht zu sehen. Bei Diderot verharren alle zusammen im Dunklen. Niemand findet heraus. Erkenntnis und Freiheit werden in Diderots Darstellung einer Neubestimmung unterzogen – mit weitreichenden Konsequenzen für Wissenschaft und Gesellschaft. Im Vortrag wurden einige dieser Konsequenzen dargelegt und zur Diskussion gestellt, was es bedeuten kann, wenn Freiheit als Erweiterung des Blicks und Wissen als Einsicht in die Wirkungszusammenhänge verstanden werden.

14.30 - 15.30
Dr. Peter Günzel, Veitshöchheim

Non scholae sed vitae discimus? Antike Bildungskritik vor dem Hintergrund aktueller Bildungsdiskurse

Die Schule nimmt in einer jeden Gesellschaft eine Mittelposition zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein, da durch sie als Institution Inhalte, die durch wissenschaftliche Methode für wahr und richtig erachtet wurden, in entsprechender inhaltlicher Reduktion der heranwachsenden Generation vermittelt werden.

Der Erwartungshorizont, der an schulische Bildung angelegt wird, nämlich, dass wissenschaftliche Inhalte und wissenschaftliche Methoden sowie grundlegende Werte vermittelt werden müssen, dabei aber die nachfolgende Generation adäquat auf eine Welt vorbereitet werden soll, die man zum Zeitpunkt der aktuellen didaktischen und pädagogischen Überlegungen noch nicht kennt, stellen die Schule in den Mittelpunkt eines immerwährenden Diskurses darüber, welche Inhalte (Didaktik) unterrichtet werden müssen und in welcher Form (Methodik) dies zu geschehen hat.

Der Vortrag reflektierte anhand ausgewählter Textpassagen klassischer Autoren dieses Spannungsverhältnis und zog vergleichende Assoziationen zur aktuellen Bildungsdiskussion.

16.00 - 17.00
Dr. Jörg Bernardy, Berlin (School of Life)

Was heißt es, ein freier Philosoph zu sein?
Kleiner Spaziergang durch die Schule des Lebens

Freisein ist relativ. Was dem einen als Befreiungsschlag gilt, schreckt den anderen ab oder wirkt einschränkend. Die Freiheit des Einzelnen ist daher nicht eine einfache Grenze, die bei der Freiheit der anderen aufhört. Nicht zuletzt besetzt Freiheit den Kampfplatz schlechthin der Moderne und ist bis heute ein umstrittener Kern moderner Emanzipationskonflikte. Vielleicht erscheint uns gerade deshalb in Zeiten von Disruption und digitalem Wandel die Rückkehr zum antiken Freiheitsbegriff so attraktiv. Die Freiheit, frei zu sein: Meint sie ein frei von oder frei zu etwas? Wie (un)politisch kann sie sein? Inwiefern sind PhilosophInnen in ihrem Denken und Handeln freier als andere Menschen? Wie auch immer man Freisein definiert, besonders für PhilosophInnen gilt heute mehr denn je: man muss frei sein, seine ganz eigenen und persönlichen Fähigkeiten zu entwickeln. Und dazu gehören nicht nur mentale und soziale Kompetenz, sondern auch emotionale Intelligenz.

19.00 - 20.00
Blanche Dorothée Haun, Mezzosopran
Çağla Çisem Gürsoy, Klavier

1) Karl-Wieland Kurz (*1961): aus: 17 Lieder vom Werden und Vergehen für Mezzosopran und Klavier (2005)
Nr. 15: Am heiligen See
Nr. 13: Wenn am Abend über das graue Meer…

2) Karl-Wieland Kurz: aus: Streiflichter durch die Geschichte des Goldenen Zeitalters des Klavierspiels (2012-…)
Heautontimouromenische Landschaft 1 und 2 für Klavier solo

3) Heitor Villa-Lobos (1887-1959)
Rudepoêma für Klavier (1921-1926)

Informationen zu den aufgeführten Werken: Blanche Dorothée Haun