45. Sokratisches Treffen

Termin:
Freitag, 29.4.2022 – Sonntag, 1.5.2022
Thema:
Sokratische Pädagogik

Die Person des Sokrates ist von Anfang an mit Fragen der Erziehung und Bildung verbunden. Sokrates wirkte in einer Zeit, als seine philosophischen Konkurrenten, die Sophisten, einen geradezu technokratischen Erziehungsoptimismus vertraten, und er hat auf seine eigene Weise den sich darin artikulierenden Anspruch auf überlegenes Wissen in Frage gestellt. Bleibende Wirkung hat die ‚Schülerszene‘ in Platons Dialog Menon entfaltet, wo Sokrates einen mathematisch nicht vorgebildeten Sklavenjungen fragend zum Verständnis der Verdoppelung des Quadrats führt; Gleiches gilt für die Schilderung der sokratischen Hebammenkunst oder ‚Maieutik‘ im Dialog Theaitetos, wo Sokrates behauptet, zwar selbst nichts zu wissen, aber die Fähigkeit zu besitzen, das latente Wissen – oder Nichtwissen – anderer zum Vorschein zu bringen. Die damit aufgeworfenen Fragen nach dem Wesen und der richtigen Methode des Lernens und nach dem Verhältnis von Bildung und positivem Wissen haben die pädagogische Reflexion bis in die Gegenwart immer wieder beschäftigt. Die Tagung ist der Rezeption der sokratischen Pädagogik von Platon bis in die Zeit der Aufklärung nachgegangen und hat dabei auch kritische Stimmen, die sich schon in der Antike erhoben, nicht außer Acht gelassen.

Programm


Freitag, den 29. April 2022

16.00-18.00
Eleanor Dickey (Reading)/Marion Schneider (Nürnberg) Workshop für LehrerInnen und StudentInnen

„Latein lernen wie in der Antike“
Wie fühlte es sich an, zur Zeit des Imperium Romanum Latein als eine lebendige Fremdsprache zu lernen? Lebensnahe Antworten auf diese Frage durften wir uns von der Expertin Prof. Dr. Eleanor Dickey von der Universität Reading erwarten! Nach einem kurzen Vortrag zum Lateinunterricht in der Antike und den Quellen, denen wir unser Wissen darüber verdanken, ließEleanor Dickey in diesem Workshop die TeilnehmerInnen selbst in die Rolle antiker LateinschülerInnen schlüpfen, Abschriften von lateinischen Codices und Papyri entziffern und mit Hilfe unterhaltsamer, alltagstauglicher Lehrbuchtexte aus der Antike lateinische Konversationskunst üben.
Latein lernen wie eine moderne Fremdsprache? Modo bene!



Samstag, den 30. April 2022

9.30 Uhr
Eröffnung: Prof. Dr. Christian Tornau

10.00 - 11.00
Dr. Vincenzo Damiani, Ulm/Würzburg:

Antike kritische Stimmen zu Sokrates

Bereits in der Antike wurde Sokrates’ pädagogischer Ansatz kontrovers diskutiert: Handelte es sich dabei um einen revolutionären Versuch, festgefahrene Annahmen unvoreingenommen zu hinterfragen oder eher um einen subversiven Aufruf gegen die traditionellen Werte von Staat und Gesellschaft? Und ferner: War Sokrates wirklich, was er in Platons Dialogen zu sein behauptet, nämlich jemand, der unter Anerkennung seiner eigenen Unwissenheit anderen zur Wahrheit verhilft – oder vielmehr ein verkappter Sophist? Die Analyse der unterschiedlichen Interpretationen, die uns in der nachplatonischen Philosophie und Literatur immer wieder begegnen, wird, wie jede Untersuchung zum sogenannten „historischen“ Sokrates, durch die Uneinheitlichkeit der Quellenlage erschwert: Denn auf welche der überlieferten Sokrates-Figuren ist die Kritik jeweils gerichtet? Unter dieser Fragestellung stand hier die epikureische Sicht auf die sokratische Pädagogik als Fallstudie im Fokus. Die Positionen Epikurs und seiner Schüler reichen dabei von einer Abwertung der Ironie als unaufrichtiges, eines Philosophen nicht würdiges Verhalten (so Epikur selbst, fr. 231 Usener) bis hin zu einer generellen Ablehnung der von Sokrates verkörperten Lebensform (etwa bei dem Epikur-Schüler Kolotes). Die Analyse wurde schließlich zum Anlass genommen, die Grundzüge einer differenzierten Rezeption von Sokrates’ Erziehungsmethode zu skizzieren.

11.30 - 12.30
Prof. Dr. Jörn Müller, Würzburg:

Sokrates und die Pädagogik des Nichtwissens. Wissen und Lehren in den frühen Dialogen Platons

Wenn es so etwas wie eine „Pädagogik des Nichtwissens“ gibt, kann Sokrates als Erfinder oder Stammvater dieser Idee gelten: Insbesondere im Frühwerk Platons, den sog. sokratischen Dialogen, erscheint Nichtwissen geradezu als das Markenzeichen, mit dem Sokrates seine eigene philosophische Tätigkeit permanent orchestriert. Dennoch ist die Frage nach einer Pädagogik des Nichtwissens bei Sokrates selbst aus zwei Gründen hochgradig klärungsbedürftig: Zum einen operiert er nämlich – wie so oft – mit einer paradoxen gedanklichen Figur, nämlich dem Wissen um das eigene Nichtwissen, die in ihrem sachlichen Gehalt erst einmal aufgeklärt werden muss. Zum anderen erklärt er in seiner Verteidigungsrede vor dem athenischen Volksgericht, der Apologie, dass er nie jemandes Lehrer gewesen sei bzw. nie irgendetwas gelehrt habe, sein Wirken also scheinbar gerade nicht pädagogisch verstanden wissen will. Meine Ausführungen gliederten sich dementsprechend in drei Teile:

In einem ersten Teil wurden die verschiedenen Paradoxien des sokratischen Nichtwissens entfaltet, um sie dann in den beiden folgenden Teilen aufzulösen oder zumindest Vorschläge zu ihrem konstruktiven Verständnis zu machen. Im zweiten Teil ging es dabei um die Frage, wie in der Gesprächsführung der sokratischen Dialoge implizit ein auf Nichtwissen aufbauendes Wissenskonzept etabliert wird; der dritte Teil wandte sich der Frage nach den pädagogischen Implikationen dieses Konzepts zu.

14.30 - 15.30
Dr. Ulrich Fritz Wodarzik, Lampertheim

Platons Theorie der Paideia und das Höhlengleichnis

Die große Bedeutung der Idee des Guten ist bei Platon unbestritten; sie bildet tatsächlich das zentrale Thema der platonischen Philosophie. Im 6. und 7. Buch der Politeia findet das Gute als größtes Lehrstück mittels einer triadischen Betrachtungsweise durch Platon seine Beleuchtung in Form und Reihenfolge von drei Gleichnissen: Sonnen-, Linien- und Höhlengleichnis. Ohne die hervorragende Bedeutung der Bildersprache (eikos logos) in Platons Dialogen und seiner dialektischen Rede begreift man nicht, was eigentlich zum Ausdruck kommen soll. Dialektik ist für Platon nichts anderes als ideale (!) Redekunst. Diskursive Rede (dianoia) versagt bei metaphysischen Fragestellungen, die intuitive Einsicht (noesis) ist das adäquate Mittel. Das berühmte Höhlengleichnis eignet sich in hervorragender Weise, um das zu zeigen. In diesem Gleichnis wirkt die „Sokratische Pädagogik“, die nach Aristoteles ihre Wurzeln in ethischen Fragen hat. So ist die Paideia, d.h. Bildung und Erziehung das Thema des dritten, resultierenden und berühmten Höhlengleichnisses.

16.00 - 17.00
Dr. Carolin Oser-Grote, Forschungsbibliothek der deutschen Augustiner, Würzburg

Sokrates in der Pädagogik der Aufklärung - Die „Rhön-Universität“ in Münnerstadt als Beispiel für die Bildungsreform des 18. Jahrhunderts

Die Augustiner-Eremiten in Münnerstadt hatten seit 1685 die Leitung des von Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn gegründeten Gymnasiums inne. Aufgrund dieses pädagogischen Auftrags entwickelte sich die Klosterbibliothek in der Folgezeit auch zu einer Lehrer- und Universalbibliothek und war vom 17. bis zum 19. Jahrhundert – neben der Universitätsbibliothek in Würzburg – die bedeutendste Bibliothek in Unterfranken.

Nach einer kurzen Einführung zu Geschichte, Beständen und aktuellen Projekten der Augustinerbibliothek Münnerstadt fokussierte der Vortrag die Sachgruppe „Pädagogik“, insbesondere die Erziehungsliteratur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, und versuchte aufzuzeigen, inwiefern dieser Bestand die Umsetzung der reformpädagogischen Bewegung der Aufklärung auch in Münnerstadt widerspiegelt.

Im Zentrum stand dabei auch insbesondere die Person des Sokrates, die – wenn auch weniger im Griechischunterricht – so doch im pädagogischen Diskurs und in der wiederaufblühenden Mäeutik ihren Auftritt hatte. Bild- und Textmaterial veranschaulichten das Thema exemplarisch.

19.00 - 20.30

Verleihung des „Sokratischen Selbstdenker-Preises“ an Aida Osmanagić (Maximiliansgymnasium München)

Festvortrag:
Prof. Dr. Eleanor Dickey, Reading/Großbritannien

Nicht-Sokratische Pädagogik: wie antike Bildung in der Realität aussah

Um richtig einschätzen zu können, inwiefern Sokrates’ Methoden ungewöhnlich waren, muss man verstehen, welche Bildungswege man in der Antike normalerweise verfolgte; denn in mancher Hinsicht unterschieden sie sich sehr von den Konzepten von Bildung, wie wir sie heute in Europa haben. Im Vortrag wurden sowohl Elemente untersucht, in denen antike Bildungswege ‚sokratischer‘ waren als unsere modernen, als auch solche, in denen sie sich weniger ‚sokratisch‘ zeigten.


Sonntag, den 1. Mai 2022

ab 9.00 Uhr

Exkursion zur Augustiner-Bibliothek und Klosterkirche Münnerstadt

Führung: Dr. Carolin Oser-Grote / Dr. Karen Schaelow-Weber

„Erst spät konnte von 1752 bis 1754 nach Plänen von Johann Michael Schmidt aus Königshofen ein architektonisch unauffälliger Neubau der Kirche errichtet werden. Seine künstlerische Ausstattung des Inneren gilt jedoch als ein echtes Juwel unter den fränkischen Klosterkirchen des Rokoko. Die verschiedensten Ausstattungskünste erzeugen eine besondere Ausstrahlung, die am ehesten mit ‚festlich‘ umschrieben werden kann. Die Stuckdekorationen an den Wänden formten Leonhard und Michael Ebner, die sich dabei von den Schöpfungen des Antonio Bossi in der Würzburger Residenz anleiten ließen. Die Deckenbilder schuf 1754 Johann Anwander aus Lauingen. Er stellte in den Hauptfresken im Langhaus die ‚Verherrlichung des hl. Augustinus‘ dar und im Chor die ‚Huldigung der Engel nach dem Sturz des Satans‘. Weitere Hauptwerke der Ausstattung sind die Altäre und die Kanzel, die Johann Josef Keßler aus Königshofen geschnitzt hat. Der Hochaltar hat zugunsten einer aufwändigen und rauschend inszenierten Altarkulisse mit reichem Personal jede Bindung an die Architektur und jede eigene innere, tektonisch schlüssige Struktur aufgegeben.

Die Ausstattung der Münnerstadter Augustinerkirche bildet ein charakteristisches Beispiel für die Höhe der Dekorationskünste in Mainfranken im zweiten Drittel des 18. Jahrhundert. Vor allem die von den Fürstbischöfen aus dem Hause Schönborn errichteten Bauwerke, wie Schloss Pommersfelden, die Würzburger Residenz oder auch Schloss Werneck, haben weit ins Land hinaus Vorbildwirkung gehabt und zahlreiche kleinere Meister zu Höchstleistungen angespornt, wie dies in Münnerstadt besonders anschaulich nachvollzogen werden kann.“ (Aus: „Haus der Bayerischen Geschichte“/Klöster in Bayern)